16 März 2007

Annie

Diesen Tag widme ich Annie. Annie Hafarni kommt ursprünglich aus der indonesischen Königsfamilie, entsagte allerdings durch die Hochzeit mit einem Australier ihrem Titel. Mit Neunzehn wanderte sie hierher aus, um in einem westlichen Land eine gläubige Christin zu werden. Es folgten viele harte Jahre des Studiums, die sie sich nebenher mit Trauben pflücken finanzierte, auch putzen und kochen waren ihr Recht, um an Geld zu kommen. Nun ist sie studierte Übersetzerin und begeisterte Köchin, arbeitet drei Tage die Woche im Restaurant, zwei Tage als Putzfrau in einem Hotel, einige Stunden als Lehrerin, am Wochenende verkauft sie auf dem Markt selbst gebackene Plätzchen und Frühlingsrollen, und nebenher ist sie auch noch liebende Mutter dreier Kinder. Von denen wohnen allerdings zwei bei ihrem Ex-Ex-Mann in Margaret River, ca. 50 km von hier, und die Jüngste, gerade mal vier Jahre alt, erlebt hier den Ehekrach ihrer Eltern. Annie hat sich nämlich gerade mit ihrem zweiten Ehemann verkracht, bzw. sich von ihm scheiden lassen, weil er sie betrogen hat. Und sie gleichzeitig ihn, aber das findet sie in Ordnung.


Ihr Lover hat sich inzwischen aber scheint’s mit ihrem Ex-Mann verbündet, und sie fühlt sich von der Welt betrogen, wollte an jenem Abend, da wir sie kennen lernten, sogar Selbstmord begehen. Ein Glück, dass wir zur rechten Zeit am rechten Ort waren. Seither sind wir ihre besten und wohl auch drei ihrer einigen Freunde, sie bemuttert uns allerliebst, kocht, fährt uns herum, zahlt unseren Sprit… und erzählt uns nebenher ununterbrochen von ihrer miserablen Situation und ihren Zukunftsträumen: Nächste Woche will sie nämlich ihren Ex-Mann endgültig aus dem Hause verbannen, damit er nicht ständig Sachen nach ihr schmeißen und sie beleidigen kann. Dann wird sie einige Jahre hart arbeiten, in all den Jobs, die ich bereits erwähnte, um mit der verdienten Kohle ihr eigenes Café zu eröffnen, in Margaret River. Sobald das geschehen ist, lernt sie ausreichend Manager, Köche und Bedienungen ein, wir haben dort einen sicheren Job, wenn wir mal wieder kommen, und sie widmet sich voll und ganz der Kreation ihres Kochbuches. Das wird 99 Seiten dick, beinhaltet Gerichte aus aller Welt und wird in einer riesigen Auflage von 10 Millionen Stück erscheinen. Das verkauft sie dann rund um den Globus und setzt sich zur Ruhe, im Alter von 44 Jahren will sie Frührentnerin werden. Folglich hat sie noch sieben Jahre zu schuften. Wenn ihre Tochter dann 20 ist, also in 16 Jahren, beginnt sie eine Weltreise und kommt nie mehr wieder, bereist Europa, Kanada, Asien… das Geld dafür bekommt sie aus den Einnahmen des Cafés und aus der Vermietung ihrer vier Häuser, ferner ist sie willig, auf Reisen alle Arten von Jobs zu tun, vom Putzen über’s Kochen bis hin zum Lehren. So schaut’s aus.


Um mal ein bisschen subjektiver zu werden: Annie ist superlieb, aber leider komplett verwirrt. Ihr Autofahrstil ist grausam, alle zwei Minuten Klimaanlage an, Fenster hoch, und 120 Sekunden später das Ganze wieder rückgängig. 10 Sekunden beschleunigen, dann fünf Sekunden den Fuß vom Gas, und so fort. Fragen beantwortet sie nicht wirklich immer, keine Ahnung, ob das an unserem Akzent oder an ihrem Verständnis liegt, ihre Situation schildert sie generell jedes Mal auf’s Neue, könnte ja sein, dass wir irgendwas seit dem letzten Treffen vergessen haben. Wie viel genau man ihr glauben kann, vermag ich nicht zu sagen, bei unserem ersten Treffen hatte sie drei Autos, am Tage drauf waren es vier, gesehen haben wir erst zwei, ihr Ex-Mann macht auf uns einen superfreundlichen Eindruck, sie erzählt generell nur Schlechtes über ihn, um uns im nächsten Satz einmal mehr weis machen zu wollen, sie glaube an Gott und würde niemals schlecht über Menschen reden, weil man so was nicht tut. Aber man muss schon sagen, durch sie haben wir Abwechslung, sie hat uns Jobs besorgt und kümmert sich so mutterhaft um uns, dass wir uns über vernachlässigbare Fehler nicht beschweren werden. Und das Beste an ihr: Sie würde mich auf der Stelle heiraten, wenn ich nur wenigstens mal zehn oder auch zwanzig Jahre älter wäre. *g*


Der Tag begann etwas hektisch, kurz nach dem Erwachen bemerkte ich drei entgangene Anrufe und acht neue SMS auf meinem auf lautlos gestellten Handy, alle waren von Annie. Die Anrufe sagten mir nichts, und die SMS waren komischerweise alle leer. Also textete ich sie mal an, um wenige Minuten später von ihr zu erfahren, dass ich bitte jetzt im Café zu erscheinen habe. *harrharr* Hab dann erst mal gefrühstückt, mir Handschuhe gekauft und kam mit einer knappen Stunde Verspätung an. Hat aber keinen gestört, außer halt mich, weil das Geschirr schon auf dem Boden rum stand und darauf wartete, gespült zu werden. Hab sie auch alle lieb.
Nach 5h und 40min teilte mir Annie mit, ich dürfe heute so lange arbeiten, wie ich wolle, sogar bis Mitternacht. No worries, dachte ich. Nach 5h und 55min trieb sie mich zur Eile an, wir müssten hier unbedingt raus, ich solle alles stehen und liegen lassen, ihre Arbeitsfläche putzen und verschwinden. Nach 6h verließen wir den Laden. Der Grund? Ähhm… da wäre wohl ein Manager gewesen, der es nicht gerne sieht, wenn sie Überstunden macht. Das würde mich nicht betreffen. Ich müsste nur mit, weil… na ja… hey, hat dir die Arbeit heute gefallen? Minimal verwirrt, die Gute.
Egal, dafür hat sie mich während des Putzens stets mit Frühlingsrollen, Pommes und Croissants versorgt, während mir der Koch ne feine Suppe mit Brot zuschob, und zur Krönung gab’s auch noch ne heiße Schoki von der Bardame. Der Job ist geil. Ist doch toll, wenn man sich sogar für’s Teller waschen begeistern kann, oder? *g*


Auf ging’s zum Van, die Mädels abgeholt, und dann zeigte uns Annie ihr Zuhause. Ihr Mann saß friedlich auf dem Sofa, tippte auf seinem Laptop herum und die kleine Tochter war so schüchtern, dass sie kein Wort mit uns reden wollte.
Annie stapelte haufenweise Kekse auf einen Tisch, stellte drei Stühle außen rum und ließ uns futtern. Als wir dann pappsatt waren, kam noch ein Dattelkuchen hinterher, aber sie selbst setzte sich fast gar nicht zu uns. Musste sie doch immer herum rennen, Gastgeberin spielen, ein paar Worte mit ihrem Mann wechseln, sich um die heulende Tochter kümmern und sich schließlich bei uns ausheulen, als ihr Lover scheint’s per Handy mit ihr Schluss gemacht hatte. Wir fühlten uns mehr als unwohl.


Schließlich begann es zu dunkeln, wir wollten gehen, aber Annie wollte das nicht. Statt dessen lockte sie uns mit einer Einladung ins Kino, stopfte uns alle in ihr Auto und ab die Post nach Bunbury, 50km nördlich. Unterwegs machte sie sich stets Sorgen, ob die 20 verbleibenden Liter Sprit im Tank auch tatsächlich reichen würden, während unsere Mägen auf’s Härteste mit ihrem Fahrstil zu kämpfen hatten.
Am Kino angekommen, hatte Annie ihre Einladung schon wieder vergessen, wir zahlten unsere Karten und machten uns im „Wild Hogs“-Saal breit, vier Mittvierziger, die beschließen, auf ihren Motorrädern noch mal quer durch die Staaten zu brummern. Dad, das machen wir auch noch! Egal, ob mit einer geführten Tour oder auf eigene Faust!
Film war toll, und Annie war so glücklich, dass sie uns anschließend zur Pizza einlud, die uns allerdings auf der Heimfahrt auch schon fast wieder hoch kam.
Egal, wir erreichten unser home heile und schmissen uns müde in die Federn. Toller Tag!

Keine Kommentare: